Friday, January 18. 2013
Betriebsgeheimnisse
Eine der Lehren, die ich aus meiner Arbeit über die Jahre gezogen habe, ist, dass die Vorstellung eines vollendeten "Kunstwerkes" insbesondere auf dem Buchmarkt schlicht absurd ist. Kein Buch ist jemals genau so, wie der Autor oder irgendjemand sonst sich das jemals wünschte. Tatsächlich ist es eine alte Weisheit, dass Bücher nicht beendet, sondern nur aufgegeben werden.
Trotzdem kursiert in der unsäglichen Debatte um die Änderungen an Kinderbüchern die seltsame Vorstellung, dass es hier um bilderstürmerische oder zensierende Eingriffe in ein vollendetes Werk ginge, die den Untergang des Abendlandes und der freien Meinung als zwangsläufige Folge hätten. Ich will mich gar nicht damit aufhalten, auf wie vielen Ebenen diese Argumente nicht funktionieren und allzu häufig nur vom unreflektierten Rassismus der Vortragenden künden. Ich will auch nicht massenhaft Links um mich schmeißen. (Hier ist ein guter.) Ich will einfach nur ein paar Beispiele dafür nennen, wieso Änderungen an Büchern vollkommen normal und häufig auch gut sind. In absteigender Reihenfolge:
Bücher wie die Bibel sind, bei allem Respekt, voll mit historisch akkumuliertem Mumpitz (ich denke z.B. an die Strafandrohungen des Alten Testaments), so dass selbst innerhalb derselben Sprache Dutzende von Übersetzungen gang und gäbe sind, die "Gottes Willen" in verständlichere Worte zu kleiden bemüht sind. Eine Weile gab es so auch Einhörner in der Bibel, aber die setzten sich offenbar nicht durch.
Für Gesetzestexte gilt allgemein meistens das gleiche (obendrein sind sie ein schönes Beispiel für ganze Inhalte, die je nach gesellschaftlichem Bedarf modifiziert oder wieder abgeschafft werden, was stets zu Blüten wie "was früher rechtens war, kann heute doch nicht ..." führte).
Auch Shakespeare hatte mal einen schlechten Tag, an dem der Blankvers nicht so recht funzen wollte, und die meisten seiner Zeitgenossen, die man heute noch liest, hatten das Problem sogar ziemlich häufig. Fast jedes populäre Buch, das älter als hundert ist, geistert in verschiedenen Editionen durch die Bibliotheken (deshalb gibt es so was wie Zitierregeln). Im "Herrn der Ringe" wird aus dem "Herrn" dann ein "Chef" (und die Fans regen sich auf, vielleicht diesmal zu recht), und dann geht man eben noch mal drüber und sucht nach einem dritten Weg. James Branch Cabell, der Experte für dritte Wege, der nur unvollständig (und häufig unzureichend) ins Deutsche übersetzt wurde, schrieb seine Bücher einfach selbst so lange um, bis er behaupten konnte, dass sie in Wahrheit eine große Geschichte erzählen.
Aus "Vielleicht lieber Morgen" wird nach Wechsel des Verlags "Das also ist mein Leben", und wo Charlie in der ersten Übersetzung "flennte", "weint" er jetzt bei mir. Als ich den Satz "ich fühlte mich grenzenlos" schrieb (ich war damals ziemlich stolz darauf), ahnte ich dagegen noch nicht, dass der Filmverleih im Jahr darauf "unendlich" wieder für das bessere Wort hielt. Aus Cory Doctorows "For The Win" strich ich eine längere Passage über das schöne deutsche Wort "Fingerspitzengefühl", weil Cory schlicht etwas darunter verstand, was leider nicht zutraf (ich stellte bei der Gelegenheit auch fest, dass die gedruckte Fassung seines Buchs, die mir als Vorlage diente, an mehreren Stellen nicht mit der, die er über seine Homepage vertreibt, übereinstimmt. Wie viele Leser kennen nicht exakt das gleiche Buch, ohne es zu wissen?).
Manchmal werden Abschnitte auch einfach gekürzt, weil sie zu viel Platz wegnehmen – und das nicht nur in Übersetzungen. Im "Licht hinter den Wolken" wurde so gerade aus der "einfachen Karte", die Janner auf Seite 262 auf dem Bett ausbreitet, eine "Karte" – einfach so. Ich schrieb "einfach", damit es realistischer ist, dass er in dieser Situation überhaupt eine Karte besitzt. Könnte ohne dieses Adjektiv nicht die Frage aufkommen, woher er denn auf einmal seine Ausrüstung nimmt? Kann schon sein. Aber "einfach" passte einfach nicht mehr auf die Seite. Manchmal passiert dasselbe mit ganzen Sätzen oder Abschnitten. Alles besser als ein Schusterjunge oder Hurenkind (ein vielleicht ebenfalls diskussionswürdiger Begriff).
Dabei bin ich ein furchtbarer Pedant, und ein Perfektionist. Ich streite mit Lektoren über einzelne Ausdrücke. Im "Kristallpalast" wollte ich nicht, dass das Buch auf den Worten "und fuhr mich heim" endete, weil mir "heim" zu niedlich klang. Ich setzte meinen Dickkopf durch, nun steht da wieder "nach Hause". Dass trotzdem leider noch fast niemand das Finale des Romans wirklich verstanden hat, konnte ich nicht verhindern – wahrscheinlich waren ein paar wichtigere Worte nicht an der richtigen Stelle, und das ist allein meine Schuld.
In "Fairwater" wurde aus einer "Eremitage" eine "Klause". Eine der Änderungen, mit denen ich mich nie recht anfreunden konnte. Ein Satz im ersten Kapitel, der vor dem Lektorat noch wohlauf war, lief nach dem Lektorat auf einmal ins Leere. Viele andere wurden – zum Glück auch gegen meinen Willen – durch meinen Lektor aber überhaupt erst kuriert. Das alles sind nur winzige Beispiele. Wenn ein Buch lektoriert wird, ändern sich auf jeder Seite manchmal Dutzende von Buchstaben, Satzzeichen, Wörtern und Sätzen. Man schaut hinein und kriegt fast einen Herzinfarkt vor lauter Rot.
Auch in den "Magiern von Montparnasse" habe ich mehrere Fehler bei der Erstauflage übersehen. Ein paar wurden später korrigiert, aber leider nicht alle. Natürlich wies ich den Verlag darauf hin. Aber irgendwie hat sich einfach nie jemand die Mühe gemacht. Beim Taschenbuch kam dann auf einmal Bewegung in die Sache. Wo wir davon reden, natürlich hießen die "Magier von Montparnasse" auch nie die "Magier von Montparnasse". Der Name stammt von meiner Agentin. Er gefällt mir, aber "Solang wir uns wiedersehen" gefiel mir noch besser.
Bücher werden verstümmelt und wiederbelebt. In "Fairwater" hatten wir aus Gründen der Marktverträglichkeit zwei komplette Kapitel entfernt und dann wieder integriert, allerdings in anderer Reihenfolge. Das Buch existierte in so ziemlich allen Rechtschreibungen, die es die letzten Jahre gab, bis Feder&Schwert; als einer der letzten Felsen in der Brandung entschied, es doch noch in alter Rechtschreibung zu drucken. Klett-Cotta schreibt "rauh" immer noch mit "h", einfach, weil man das in Stuttgart schöner findet. In den "Magiern" wären fast die Kapitel in den Katakomben dem Rotstift zum Opfer gefallen – richtig, eigentlich das ganze Finale (ich hielt das für eine wirklich schlechte Idee, aber neulich traf ich einen Leser, der meinem Lektor recht gab. Wurde die bestmögliche Version dieses Buchs nie geschrieben?). Die Anmerkungen des zweiten (!) Lektors waren ungelogen hundert Seiten lang. Weil ich gerade masochistisch war, habe ich sie komplett durchgearbeitet. Mein Selbstwertgefühl war danach zwar im Eimer, das Buch wahrscheinlich aber deutlich besser. (So genau erinnere ich mich ehrlich nicht mehr, wahrscheinlich habe ich viel getrunken zu der Zeit.) Im "Kristallpalast" habe ich selbst größere inhaltliche Eingriffe in die Handlungsstränge meiner Co-Autoren getätigt, einfach, weil sie gerade keine Zeit hatten, sich darum zu kümmern, das Buch aber fertig werden musste. Dass Royles Vater in Australien lebt und er deswegen eine ganzen Kontinent hasst, war meine Idee, nicht Alex'. Ich könnte die Reihe endlos fortsetzen. Mein Punkt ist:
Sprache ist etwas Lebendiges, und Literaturwissenschaft nicht die Gauck-Behörde. Bücher sind immer nur Schnappschüsse eines bestimmten Jahres, eines bestimmten Monats, einer Woche oder Stunde, in der eine Entscheidung übers Knie gebrochen wurde, die man oftmals später bereut. Häufig waren ein halbes Dutzend Personen an dieser Entscheidung beteiligt, und irgendwer hatte irgendwann einfach das letzte Wort. Jeder Autor kann ein Lied davon singen, und jeder Verleger kann das Gejammere der Autoren bald nicht mehr hören. Ich würde keines meiner Bücher heute wieder genau so schreiben wie damals, und viele Sätze von damals sind mir heute peinlich wie ein altes Tagebuch. Ich kann keines meiner Bücher aufschlagen, ohne mich über irgendeinen Fehler zu ärgern, den ich in den allermeisten Fällen selbst zu verantworten habe. Und meine Erfahrung mit Lesern, egal ob in Foren, an der Uni oder auf einer Buchmesse, hat mich gelehrt, dass keiner von ihnen jemals ein Buch genauso las wie ein zweiter.
In Anbetracht all dessen scheint mir der Versuch, um das Wort "Neger" in einem Kinderbuch zu kämpfen, zutiefst traurig, beschämend und lachhaft zugleich.
#1 - Tom said:
2013-01-18 22:14 -
Im Grunde hast du damit Recht - es ist nicht wert, um eine Veränderung einzelner Worte in einem Text zu kämpfen.
Nur, dass es in dieser Debatte eigentlich nicht um das Wort an sich geht, sondern nach meinem Verständnis um die Frage: Wieviel 'political correctness' ist angebracht und ab wann wird es lächerlich, sich dem gerade modernen Streben nach möglichst viel PC immer und immer wieder zu beugen.
Es geht nicht darum, ob ein Kinderbuch nicht zeitgemäß neu überarbeitet werden darf oder nicht, sondern darum, ob man, nur um ja überhaupt nie irgendwem auch nur den Verdacht einer Ahnung einer potentiellen Beleidigungsmöglichkeit zu geben, wirklich jeden - pardon - Scheiß weichspülen muss.
Darf ich das Wort Indianer eigentlich noch benutzen (nein, eigentlich nicht), darf ich das Wort Weib in einem Märchenbuch vorlesen (um Himmels willen! Nein!), darf ich als Autor überhaupt noch schreiben, dass eine Frau einen schönen Hintern hat?!
Von mir aus darf Ephraim Langstrumpf in Zukunft der 'Demokratisch gewählte Repräsentant der indigenen Inselbevölkerung' sein.
Wenn es denn dem Verständnis dient und nicht nur der political correctness. In disem Fall denke ich, dass es besser wäre, den Kindern Worte zu erklären, statt sie einfach zu entfernen.
#1.1 - JL 2013-01-18 22:29 -
Ich bin bewusst nur auf den Aspekt der "Unberührbarkeit" vermeintlich sakrosankter Texte eingegangen, weil zu allem anderen schon so viel geschrieben wurde.
Jedoch sei auch hier gesagt: Ich halte PC nicht für ein temporäres "modernes Streben", dem man sich "beugen" müsste, ob man will oder nicht, sondern eine Selbstverständlichkeit, und in keinster Weise "lächerlich".
Ich glaube -- und das ist noch schwach formuliert -- dass das N-Wort WEIT jenseits des "Verdachts einer Ahnung einer potentiellen Beleidigungsmöglichkeit" anzusiedeln ist.
Ich halte die Vermeidung von Beleidigungen nicht für ein "weichspülen".
Wenn Du das wirklich so siehst, werden wir in dieser Frage fürchte ich keinen Konsens finden.
#2 - Dom said:
2013-01-18 23:17 -
Ui, da muss ich auch mal kommentieren.
Zum Katakomben-Finale in den "Magiern": Während ich das Buch gelesen habe, hatte ich immer ein leichtes Schmunzeln (gefangen zwischen ""Und täglich grüßt das Murmeltier" in Frankreich, darauf muss man auch erst mal kommen!", "Guck mal, eine lustige Formulierung, die meinen Humor trifft!" und "Bald geht da alles drunter und drüber!") auf den Lippen - dieser Schmunzelfaktor hat zwar gefesselt, aber nicht auf die spannungsgeladene "Was passiert jetzt?"-Art. Die Katakomben waren der einzige innerfiktionale Ort, an dem es nicht Neugier war, die mich hat weiterlesen lassen, sondern tatsächliche "Oh, fuck. Ooooooh fuck. Ich drück euch die Daumen!"-Spannung.
Wer das streichen will, mag womöglich die dominierende Art der "leichten Spannung" mehr als die zum Ende strebende Finalspannung.
Zu der Geschichte mit der Bearbeitung von Büchern: Ich bin da geteilter Meinung. Während ich "Neger", "Eskimo", "Weib" etc. in höflicher Rede niemals verwenden würde, finde ich es in den Langstrumpf-Büchern usw. (die waren vor ein paar Jahren ja mal Thema) nicht störend - des Kontexts wegen.
Ohne die französischen Modewörter in Manns "Buddenbrooks" hätte ich den Roman deutlich weniger genossen. Kafka mit "modernem" Satzbau fände ich grausam. Keines von beiden Beispielen kommt der "Neger"-Sache gleich; man muss aber auch erwähnen, dass es zur Entstehungszeit diverser Werke keineswegs ein Schimpfwort war. Es gehört für mich zu einer realistischen Nachbildung einer vergangenen Zeit/Epoche, dass die Sprache stimmt. In einem Roman über das römische Reich erwarte ich was anderes als "Ey Alter, was geht?"; in einem Werk, das vor Jahrzehnten entstanden ist, erwarte ich keine political correctness.
Auch ohne Rassist zu sein kann ich verstehen, dass "übermäßige correctness" manchen Lesern sauer aufstößt. Ich bin weit davon entfernt, ein Buch deswegen nicht mehr lesen zu wollen, zu demonstrieren oder Morddrohungen zu verschicken, weil jemand ein Buch "verstümmelt" - aber glühender Verfechter dieser Korrekturen bin ich auch nicht.
Um zu verdeutlichen, was ich meine, und Missverständnissen vorzubeugen: Mir geht es hier nicht um das schon erwähnte "Weichspülen" oder darum, dass Bearbeitungen vollkommen ausgeschlossen sein müssen, weil ein "vollendetes" (d. h. aufgegebenes ;)) Buch heilig und unantastbar ist. Die Frage, die ich mir bei jeder Bearbeitung stellen muss, ist jene: Leiden darunter die Handlung, die Atmosphäre und/oder die realistische Darstellung?
Beispiel "Schuhwichse": Wenn man das modernisiert, hält man ein paar Unwissende und diverse pubertierende Jugendliche davon ab, an einer ungünstigen Stelle zu lachen oder sich zu wundern. Schaden an der Atmosphäre sollte dabei nicht entstehen.
Beispiel "Neger": Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Das muss eine Einzelfallentscheidung sein. In einem Roman, in dem allergrößter Wert darauf gelegt wird, die Gesellschaft einer bestimmten Zeit (in der das eben so gesagt wurde) realitätsgetreu abzubilden, macht ein Ersatzwort für mich persönlich keinen Sinn. In einem Kinderbuch (da wären wir wieder bei Fräulein Langstrumpf) tut die Modernisierung, finde ich, Not.
Bei der schlimmeren Variante des N-Wortes mit I und Doppel-G kann ich mir nur sehr wenige Kontexte (wenn es wirklich als Beleidigung gemeint und Rassismus ein Thema des Werkes ist) vorstellen, in denen ich das nicht ersetzen würde.
#2.1 - Dom said:
2013-01-18 23:24 -
Pardon, ich hab mich da irgendwo mittendrin verfranst. Nochmal zu der Langstrumpf-Sache: Da wollte ich eigentlich noch betonen, dass ich es nicht störend finde, wenn darauf hingewiesen wird, wie das Wort damals gewertet wurde. Das ist schwer zu realisieren - entweder, die Eltern machen das beim Vorlesen, oder es gibt eine Fußnote. Wobei Kinderbücher mit Fußnoten nun auch wieder Quatsch sind.
EINE Modernisierung ist nötig. "Die" Modernisierung klingt da vielleicht irreführend. In mir kämpfen da gerade die "Der Leser ist mündig, der kriegt das schon hin!"- und die "Es ist ein KINDERbuch!"-Seite.
#2.1.1 - JL 2013-01-19 12:18 -
Dass es ein KINDERbuch ist, macht für mich hier einfach den Unterschied. Natürlich gibt es mündige Kinder, und es gibt Kinder, denen ihre Eltern vorlesen, es gibt aber auch Kinder wie mich, die einfach für sich alleine lasen und mit niemandem groß drüber redeten. Ganz unabhängig davon, ob das N-Wort damals "nicht so schlimm" war, wie manche behaupten, oder nicht, bringt es heute einfach nur einen Haufen Probleme mit sich, die vom eigentlichen Text ablenken, ohne für seine Atmosphäre oder historische Authentizität usw. etwas beizutragen oder gar notwendig zu sein. Wir reden hier auch nicht z.B. von Tom Sawyer, wo der Fall ungleich komplizierter wäre, sondern Nebenszenen, in denen einfach etwas als "out of place" oder "exotisch" markiert werden soll.
Bei Literatur für Erwachsene stellen sich natürlich ganz andere Fragen, und dass es immer eine Einzelfallentscheidung bleiben muss, ist auch klar, da stimme ich Dir völlig zu.
Und Danke fürs Feedback!
#2.1.1.1 - Dom said:
2013-01-19 12:32 -
Ich seh schon: Wir kommen da recht gut auf einen gemeinsamen Nenner. Nichts hinzuzufügen. :)
Zum Feedback: Nichts zu danken!
#3 - Maëleon said:
2013-01-19 00:04 -
Danke für diese gute Erklärung.
Ich muss sagen, dass ich es nach wie vor schwierig finde, die Thienemann-Aktion zu bewerten. Der Weisheit letzter Schluss scheint sie mir nicht zu sein, wobei ich eine starke Tendenz dazu habe, es in Ordnung zu finden, dass die fraglichen Wörter durch andere ersetzt werden -- einfach weil die bisherigen keinerlei Mehrwert für die Bücher haben und nur Probleme verursachen. Und ein kleines Zeichen gegen Rassismus ist im Zweifelsfall immer besser als gar keins.
Was mich aber viel mehr entsetzt als die eigentliche Diskussion, ist der Furor, mit dem die ganzen selbsternannten Sprachschützer, Literaturpolizisten und "Freidenker", wie sie sich in den Kommentarfeldern der taz ja meistens nennen, für die Beibehaltung des hässlichen Wörtchens "Neger" kämpfen. Sie geben vor, sich gegen PC, Gutmenschentum und linksliberale Denkverbote stark zu machen; dabei wollen sie einfach nur weiter in Ruhe hassen, nicht in ihrer kleinen aufgeräumten Welt gestört werden und vor allem: nicht denken müssen.
Trösten wir uns mit dem Gedanken, dass sie ihren Krieg schon verloren haben. Der weiße Mann verschwindet, bald ist er nur noch einer unter vielen, das weiß er, und deshalb ist er so frustriert.
#3.1 - JL 2013-01-19 12:23 -
Wie ich gerade zu Doms Kommentar schrieb, die pragmatische Abwägung ist für mich genau besagte Problematik auf der einen vs. (fehlender) Mehrwert auf der anderen Seite. Der einzige Grund, dann noch nicht zu handeln, ist der prinzipielle Unwille, in Texte einzugreifen, und genau deshalb schrieb ich diesen Artikel.
Aber Du hast völlig recht. Das wirklich Erschreckende an Debatten wie dieser ist die Trennlinie, die sie auf einmal durch Internet, Gesellschaft und Freundeskreis zieht. Damit habe ich auch nicht gerechnet, und ich hoffe, die Gemüter beruhigen sich bald wieder.
#4 - Mauriel 2013-01-19 10:32 -
Um mal beim "Negerkönig" in Pippi Langstrumpf zu bleiben... Das Problem sehe ich da viel eher in der gesamten Handlung. Mir erscheint rückblickend die Tatsache, dass die Einwohner von Taka-Tuka-Land diesen "fetten Weißen" zu ihrem König ernennen und sich seiner Tochter zu Füßen werfen, eigentlich viel heikler, als die Verwendung des Wortes Neger. Ein Wort ist ein Wort, und es ist mMn recht einfach, einem Kind zu erklären, dass man das heute nicht mehr sagt, weil es ein Schimpfwort ist. Die Darstellung der "Neger" hingegen stößt mir irgendwie immer noch etwas sauer auf. Klar, ich mag die Pippi-Langstrumpf-Bücher, aber irgendwie werden die "Ureinwohner" von Taka-Tuka-Land in meinen Augen als ziemlich rückständig und naiv dargestellt. Das mag in der damaligen Zeit nichtmals böse gemeint gewesen sein, aber ich finde es schon irritierend, in einem Kinderbuch heutzutage so etwas drin zu haben. Dann muss man sich aber die Frage stellen, ob man Bücher wie Pippi Langstrumpf heutzutage überhaupt noch Kindern zum Lesen geben kann. Die alten Dolly- und Hanni-und-Nanni-Bücher vermitteln in meinen Augen auch ein etwas merkwürdiges Bild - besonders Frauenbild. Wieder ein anderes Thema, aber das ist mir beim erneuten Lesen neulich nochmal aufgefallen. Weiß ich auch nicht, ob ich das meiner Tochter später mal so ohne weiteres zu lesen geben würde. Deshalb finde ich die ganze Sache ziemlich schwierig. Man kann Bücher - auch Kinderbücher - eigentlich nie wirklich ohne den historischen und gesellschaftlichen Kontext sehen. Und da wird's dann einfach ab einem bestimmten Punkt nicht nur bei der Sprache, sondern auch beim Inhalt kritisch.
#4.1 - JL 2013-01-19 12:27 -
Auch damit hast Du völlig recht. Ein anderes gutes Beispiel sind die Tim&Struppi-Comics. Kinderbücher HABEN eine kürzere Halbwertszeit als andere Literatur, aus genau diesem Grund: Sie sind nicht mehr zeitgemäß, vermitteln eine schräge Didaktik, oder überkommenes Weltbild. Eine komplette Handlung kann man aber wirklich nicht einfach umschreiben, aus vielen Gründen -- besser, man schreibt einfach ein neueres, besseres Buch bzw. schenkt seinen Kindern was Anderes. Auch das ist der völlig normale Gang der Dinge.