Saturday, January 26. 2013
Land in Sicht
Ich habe eine Menge interessante Seiten und spannende Blogs von spannenden Menschen gefunden, die mein übliches Surfverhalten mal aufgebrochen haben, und denen ich auch weiter folgen werde. Zwar hoffe ich auch diesmal, dass dies der letzte Teil der Presseschau zum Thema sein wird -- immerhin hat selbst die Titanic keine Lust mehr darauf -- trotzdem ist noch eine Menge passiert (weitere gute Links gibt es auch auf Lake Hermannstadt).
Da war zum einen der Brief, den die 9-jährige Ishema der Zeit schrieb, und tatsächlich mehrten sich in der Zeit darauf die Stimmen der Vernunft (siehe hier oder hier). Weitere positive Meldungen aus der Medienlandschaft gab es beim Freitag und auch beim Bayerischen Rundfunk -- umso schöner eingedenk der Stimmen, die vor vier Jahren noch aus dem bayerischen Kultusministerium kamen ... auch Bayern ist zum Glück nicht gleich Bayern.
Der heimliche Halbgott der deutschen Schriftstellerzunft, der selbsterklärte Rushdie-Gutfinder und Zigeuner-Versteher Claus Cornelius Fischer, schrieb dagegen einen Brief an Mekonnen Mesghena, der die ganze Sache mit seinem Brief an den Thienemann-Verlag ja angestoßen hatte. Fischers Brief trieft vor Altmännerzorn ("Wie armselig Sie sind! [ ...] Warum kümmern Sie sich nicht lieber ein um die Literatur ihrer Heimat Äthiopiens statt um die des Landes, das Sie aufgenommen hat?"). Da der entsprechende Gegenwind aber Gott sei Dank nicht lange ausblieb, kam bald darauf das zerknirschte Entschuldigungsschreiben (hat der Arme jetzt etwa Selbstzensur betrieben?) Überhaupt ist Mesghenas Facebookseite eine wahre Fundgrube.
Die Autorin Noah Sow hat ein paar ziemlich mutige und offensive Seiten am Start, auf denen es außer Beiträgen zur Diskussion auch schlagfertige Antworten auf dumme Sprüche zum Nachlesen gibt. Hier finden sich außerdem noch ein paar Worte zum Thema "Zensur", und einige kluge Gedanken zu den Mechanismen der Diskriminierung gibt es hier und auch hier:
The problem with sexist, racist, homophobic, transphobic, classist, ableist, etc., remarks and “jokes” is not that they’re offensive, but that by relying for their meaning on harmful cultural narratives about privileged and marginalized groups they reinforce those narratives, and the stronger those narratives are, the stronger the implicit biases with which people are indoctrinated are. That’s real harm, not just “offense.”
Abschließend empfehle ich noch diesen guten und kurzweiligen TED-Talk mit Jay Smooth, der einem erklärt, was in Unterhaltungen über Rassismus meistens schief läuft, und wieso Leute sich so gern persönlich angegriffen fühlen, wenn man eine Äußerung von ihnen als rassistisch kritisiert. Wie er richtig feststellt: Kein Mensch argumentiert, dass er ja eine saubere Person sei und sich deshalb nie wieder zu waschen brauche. Nur bei unliebsamen, ungern hinterfragten Einstellungen tun wir so, als hätten wir sie ja schon vor Jahren abgestreift. Leider haben wir seitdem oft nicht mehr in den Spiegel gesehen.
Auch Rassismus ist eine Form von Schmutz, eine von vielen. Ich kann anderen Leuten nicht vorschreiben, wie oft sie zu duschen haben. Ich für meinen Teil will diesen Dreckpanzer, der in weiten Teilen noch aus meiner Kindheit stammt, aber nicht länger mit mir herumtragen. Er ekelt mich an.
#1 - Maëleon said:
2013-01-26 14:46 -
Danke für die Links.
In der gerade begonnenen neuen Sexismus-Debatte kann man dieselben Mechanismen beobachten wie bei Rassismus: victim blaming, Lächerlichmachen der Opfer, Unverständnis, "Seid doch nicht so humorlos"-Geschwätz usw.
Wird noch lange dauern, bis sich wirklich was ändert.
#1.1 - JL 2013-01-26 17:57 -
Ganz weggehen wird es vielleicht nie. Menschen werden wütend auf Menschen, und versuchen sich dann, von denen, auf die sie wütend sie, abzugrenzen. Dabei ist jedes noch so bescheuerte Unterscheidungsmerkmal recht.
#2 - Mauriel 2013-01-26 14:48 -
Den Link zu diesen Tests finde ich total super! Habe gleich mal angefangen, ein paar von diesen Tests zu machen, und ich muss gestehen, ich hatte ein bisschen Bammel, was da mein Unterbewusstsein so alles Zutage fördern könnte... Umso beruhigender, dass beim Test zum Thema Rassismus das Ergebnis "geringe bis gar keine automatische Bevorzugung von einer der beiden Gruppen" kam. :)
#2.1 - JL 2013-01-26 17:53 -
Ich habe den Test erst nicht kapiert, dann habe ich mittendrin gemerkt, was sie mit mir vorhaben, bin tierisch nervös geworden, habe Fehler gemacht und entsprechend "toll" abgeschnitten ;) Interessehalber, bist Du mit vielen dunkelhäutigen Kindern / Jugendlichen sozialisiert worden?
#2.1.1 - Mauriel 2013-01-27 02:52 -
Nein, um ehrlich zu sein eigentlich nicht... Zwar war ich in einer Grundschule, wo es ziemlich multi-kulti zuging (ich hatte Mitschüler aus der Türkei, aus Italien, aus Griechenland und bestimmt noch einem halben Dutzend anderer Länder), aber wirklich dunkelhäutige Menschen waren darunter nicht. Später, als ich 16 war, habe ich dann mal eine Zeitlang Nachhilfe bei einem Mädchen aus einer afrikanischen Familie gegeben, und der Lebensgefährte meiner einen Cousine ist ebenfalls dunkelhäutig, aber das waren (sind) dann eigentlich auch schon alle längerfristigen Kontakte zu dunkelhäutigen Mitmenschen in meinem Leben. Trotzdem bin ich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit gegenüber unterschiedlichen Hautfarben aufgewachsen, das heißt, meine Eltern haben mir als Kind erklärt, dass es eben unterschiedliche Hautfarben gibt, so wie es auch unterschiedliche Haar- und Augenfarben gibt. Für mich waren als Kind dunkelhäutige Menschen zwar schon irgendwie etwas exotisches, aber auch nicht mehr, als Menschen mit naturroten Haaren und Sommersprossen. Das war mehr so die typische kindliche Neugier gegenüber etwas ungewohntem.
#2.1.1.1 - JL 2013-01-27 21:11 -
Danke!
Ich hatte glaube ich noch etwas weniger Kontakte in meiner Kindheit ... Insgesamt glaube ich, dass es jeder Gesellschaft gut täte, möglichst "bunt" zu sein.
#2.1.1.1.1 - Mauriel 2013-01-28 00:33 -
Der Meinung bin ich auch. :)
Schon alleine, was den Gen-Pool angeht; ich denke da an Bücher wie "Neva" von Sara Grant oder auch "Schlafes Bruder" - oder die Wildlinge beim Lied von Eis und Feuer, die sich niemals einen Partner aus dem selben Dorf suchen, um sicher zu stellen, dass gesunde und kräftige Kinder dabei herauskommen... Von daher glaube ich, dass es dem Menschen sowohl in biologischer wie auch in sozialer/kultureller Hinsicht mehr als gut tut, sich nicht in seinem Schneckenhaus zu verkriechen und die Tür zu verrammeln, sondern ganz bewusst die Gesellschaft von Menschen zu suchen, die "anders" sind als er, sei es jetzt vom Aussehen, vom kulturellen Hintergrund oder von der Einstellung her. Sonst wird alles ganz schnell ziemlich eindimensional.
#3 - Diana 2013-01-30 10:38 -
ahem Ich mag zu dem Thema nichts mehr sagen, aber zu den Tests: Vielleicht ist es ganz gut, sich mal zu reflektieren und seine Einstellungen zu hinterfragen.
Methodologisch ist er aber...naja. Auch Havard-Psychologen machen nicht immer alles richtig (und mir ist nicht klar, ob wirklich Havard-Leute dran beteiligt sind oder nur der Server genutzt wird. Der Studienleiter ist ja nun aus Berlin). Will sagen, dass man das Ergebnis mit Vorsicht genießen und nicht überinterpretieren sollte. Um eine wirklich fundierte Aussage über seine Einstellungen machen zu können, bräuchte es wesentlich mehr. Hier werden in 10 Minuten Zusammenhänge dargestellt die gar nicht so sein müssen und bei einer zweiten Durchführung anders ausfallen könnten. Starke und sehr handlungsrelevante Persönlichkeitseigenschaften werden hier auf die Geschwindigkeit eines Tastendrucks reduziert, weshalb ich die Validität des Tests (misst der Test was er messen soll, nämlich meine Einstellung zum Thema) durchaus in Frage stelle (und sogar auch die Reliabilität, da es einen Reihenfolge-Effekt geben könnte. Aber das führt jetzt zu weit)
#3.1 - JL 2013-01-31 01:58 -
Jo, ist klar, überinterpretieren würde ich so Tests eh nie, aber man wird schon dazu angeregt, über sich nachzudenken. Dahinter stehen die Leute hier: http://www.projectimplicit.net/about.html
#3.2 - Marcel Aubron-Bülles said:
2013-03-21 14:13 -
Ich habe einen der Tests gemacht und wie erwartet -leider nicht sonderlich gut- abgeschnitten. Ich bin sehr dankbar für den Link, denn es ist immer gut, sich selbst in Frage zu stellen und an den eigenen Erwartungshaltungen (und damit natürlich auch Vorurteilen) zu arbeiten, schließlich ändert sich die Welt schneller als das eigene Ich.
Allerdings ist methodologisch sicherlich einiges zu bemängeln (und das sage ich als durchschnittlicher Geisteswissenschaftler, der sich mit dem Thema nicht sonderlich hervorragend auskennt.)
Da meine Sozialisation im Wesentlichen in Köln-Kalk erfolgte (vergleichbar zu Neukölln in Berlin) habe ich vor allem mit Mitbürgern aus Südeuropa, der Türkei sowie nordafrikanischen und arabischen Ländern zu tun gehabt. Mehrheitlich. Meine Erkennungsmuster (und dazu gehört auch die Gesichtserkennung) sind also deutlich in dieser Richtung geprägt - ich kann die Menschen "einschätzen" und bei einem Onlinetest mit 'Beispielsgesichtern' intuitive Zuordnungen vornehmen. Das ist mir bei vielen allen kulturellen Gruppen einfach nicht möglich und dazu gehören praktisch alle Länder südlich der Sahara. Wenn aber Verzögerungen in der Erkennung bei dem Test als relevante Bewertungskriterien verwendet werden, bin ich per se ein Rassist. :)
Außerdem wäre ein vergleichender Test mit mehreren kulturellen Gruppen (Stichwort: Asien und Osteuropa) wesentlich relevanter, denn wenn man von vornherein auf ein Schwarzweißmuster prägt, dann erhält man was ... Schwarzweiß-Ergebnisse ;)
Nein, es ist interessant, solche Tests zu machen, um sich die Dinge wieder vor Auge zu führen, die das Selbst ausmachen - aber der von mir durchgeführte Test ist wissenschaftlich gesehen nicht aussagekräftig.
Freue mich, dass meine Vorrednerin bereits darauf hingewiesen hat.
Freue mich auch, dass Du diesen Beitrag geschrieben hast, denn solche Texte und Hinweise sind wichtig. Wir sind weit davon entfernt eine gleichberechtigte Gesellschaft zu sein - und ich fürchte eher, dass die diskriminatorischen Elemente noch weiter zunehmen werden, nur unter anderen Schwerpunkten: Armut, erschwerter Zugang zu Bildung, Ausgrenzung auf finanzieller Basis. Und dass diese dann auf reelle kulturelle Gruppen übertragen werden - weiterhin.
#3.2.1 - JL said:
2013-03-21 16:49 -
Danke für das Feedback. Mir waren diese Beiträge damals sehr wichtig, weil ich mich sehr allein auf weiter Flur fühlte. An meiner Einstellung zu der ganzen Debatte hat sich seitdem auch nichts mehr geändert.
Was den Test betrifft, ich sehe mich jetzt natürlich auch nicht als Rassisten ("my mother had me tested ..."). Was zählt, sind die Entscheidungen, die ich treffe, nicht die Vorurteile, mit denen ich vielleicht aufgewachsen bin. Aber dass ich Schwierigkeiten habe, aus der unbewussten Prägung "weiß='normal', schwarz='irgendwie (auffällig) anders'" auszubrechen, habe ich schon gemerkt, bevor ich das Ergebnis sah.