Ich bin die letzten Wochen neue Blogeinträge schuldig geblieben, weil ich neben den üblichen Weihnachtsverpflichtungen auch jeden Tag an meinem neuen Roman gearbeitet habe, der Ende Februar fertig sein muss. Deshalb gab es keinen Jahresrückblick und auch keine Updates zum "neuen" Fairwater mehr. Zumindest Letzteres möchte ich nachholen, denn es passt ganz gut zu meinem Alltag.
Bezüglich gewisser anderer Autoren, die gerade gegen Deadlines kämpfen (und ja, natürlich nenne ich ihn, um für Google wieder etwas relevanter zu werden), erklärte Tor jüngst länglich,
George R. R. Martin sei ja sein eigener Lektor, als ob dies eine sensationelle Eigenschaft wäre. Man muss wohl anerkennen, dass viele Autoren ihre Manuskripte in einem Zustand abgeben, in dem ich nicht einmal Hausarbeiten akzeptieren würde (und diese dann nicht selten auch genau so gedruckt werden). Für mich ist das Vorlektorat meiner Texte (und auch meiner Übersetzungen) dagegen ein selbstverständlicher Arbeitsschritt vor der Abgabe (und alles, was Martin über das ideale Verhältnis Autor-Lektor sagt – dass ein Lektor den Text immer im Sinne des Autors ändern sollte statt ihn völlig umzukrempeln – die Philosophie, nach der ich immer schon an Texte herangehe).
Was mir dabei auffiel, ist, dass meine Texte in der Überarbeitung früher gerne noch etwas anwuchsen, heute aber deutlich schrumpfen. Mag sein, dass meine Rohfassungen im selben Maße schlampiger wurden, in dem ich mehr Mühe in die Überarbeitung investierte. Ich glaube aber auch, dass meine Toleranz gegenüber überflüssigen Wörtern und umständlichen Konstruktionen schwand. Gerade bei Übersetzungen habe ich sehr häufig das Gefühl, dass der Autor haarscharf an dem vorbeibeschreibt, was er oder sie eigentlich sagen will; und statt auf Deutsch eine ähnliche Verrenkung zu schaffen, bringe ich es lieber auf den Punkt. Dasselbe mache ich mittlerweile mit meinen eigenen Texten – aktuell mit der Rohfassung meines neuen Romans, aber eben auch im Falle von "Fairwater".
Als Beispiel mag folgende Passage dienen, in der Lysander Gloria nach dem Zwischenfall im Alten Zoo die Hand verbindet. In der alten Fassung hieß es:
Benommen öffnete sie die linke Hand, die immer noch etwas umklammerte. In einem kleinen Bett blutig abgeschürfter Haut lag eine antike Taschenuhr mit Silberkette – sie mußte sie abgerissen haben, als sie sich wehrte.
„Feine Uhr“, meinte Lysander mit einem flüchtigen Blick auf das Chronometer und fummelte ein sauber wirkendes Stofftaschentuch mit Stickereien darauf hervor.
„Wo haben Sie die her? Warten Sie.“ Er tunkte das Tuch kurz in eine Vogeltränke, wischte das Blut ein wenig ab und band es dann um ihre Hand, die ihm Gloria mit schmerzverzerrtem Gesicht hinhielt.
Und in der neuen Fassung:
Benommen öffnete sie die blutige Hand, die immer noch etwas umklammerte. Es war eine antike Taschenuhr mit Silberkette – sie musste sie im Kampf jemandem abgerissen haben.
„Feine Uhr“, meinte Lysander mit einem Blick auf den Chronometer und zückte ein besticktes Stofftaschentuch. „Wo haben Sie die her? Warten Sie.“ Er wischte ihr das Blut ab und band ihr das Tuch um die schmerzende Hand.
Es gibt vieles, was ich an der alten Fassung heute furchtbar finde -- die indirekte Vermittlung von Gefühlen ("mit schmerzverzerrtem Gesicht") und Kausalzusammenhängen ("musste ... abgerissen haben, als") die Mischung aus Überdetailliertheit und vagem Nicht-festlegen-Wollen ("tunkte ... kurz", "wischte ... ein wenig ab") -- aber vor allem das "sauber wirkende Stofftaschentuch mit Stickereien darauf" ist ein Ausbund an Ungelenkheit.
Mit genau so etwas verbringe ich zur Zeit meine Tage -- statt das Ding einfach abzugeben und meine Rechnung einen Monat früher zu stellen. Klingt doof, ist aber so.
Wer jetzt Mitleid mit mir hat, kann sich ja das neue "Fairwater" kaufen ...