Saturday, September 7. 2019
Re: Grandiositäten und Fallen
Der Schriftsteller und freie Journalist Sören Heim hat sich nicht zum ersten Mal die Mühe gemacht, einem meiner Bücher eine eingehende Besprechung zu widmen, über die ich mich wie immer sehr gefreut habe. Sie bringt mich dazu, meinen Text mit literaturwissenschaftlicher Brille zu hinterfragen, und das macht mir als jemandem, der sich lange nicht entscheiden konnte, was er eigentlich sein will -- Textproduzent oder -rezipient -- großen Spaß. So viel in diesem Fall, dass ich etwas mehr Platz als üblich für die Antwort brauchte und sie hier gewissermaßen als Dialog unserer beider Blogs stehen lasse.
Vielen Dank für die Besprechung, die wie immer ziemlich genau das abbildet, worum es mir bei dem Text ging und ihn mancherorts vielleicht sogar zu wohlwollend deutet. Und auch für die Gelegenheit, diesem wissenschaftlich fragwürdigen Impuls einer Replik nachgeben zu können.
Vorweg zur Frage der Einordnung und des Zielpublikums: Tatsächlich glaube ich, dass die Hobbit Presse als Hort der literarisch ambitionierteren Fantasy in Deutschland die einzige mir mögliche Anlaufstelle war. Gleichwohl zeigen sich hier die Grenzen unserer Verlagswelt: Selbst wenn ich es wollte, sehe ich als "Fantasyautor" wenig Chancen, zu einem Highbrow-Verlag zu wechseln. Und die Hogarth-Kollektion wird mir wie der Rest des englischsprachigen Marktes wohl immer verschlossen bleiben. Von daher bewerben wir das Buch nicht einmal allzu laut mit Shakespeare, aber den Bezug zu verschweigen, wäre natürlich mehr als albern gewesen.
Dass ich zu viel (aber nicht jeder!) Subtilität gegenüber inzwischen misstrauischer bin als ich es einmal war, ist richtig. Teils, weil sie nicht immer honoriert wurde, teils, weil das oft auch hieß, dass ich sie nicht richtig eingesetzt habe. Das heißt nicht, dass die Subtilitäten nicht immer noch unter der Oberfläche lauern, aber ich lasse den Leser nicht mehr so gerne auf gut Glück über einen textuellen Maulwurfacker wandern. Das zweite Zitat ist ein gutes Beispiel für solche Leitplankensätze, die wohl nicht unbedingt nötig wären, die ich aber vorsichtshalber dennoch einschlage.
Das erste Zitat hingegen ist ein sehr gutes Beispiel für auktoriales Versagen oder die Grenzen subtiler Signale überhaupt, denn der Satz war weder subtil noch als Signal gemeint, sondern nichts als die schnöde Beschreibung von magischem Gewirbel in einer Schenke. Natürlich ist Deine Interpretation trotzdem valide. Obendrein ist sie passend und schmeichelhaft. Aber es stellt sich die spannende Frage: Hast Du sie als Leser nun selbst in den Text hineingetragen (weswegen Du sie vielleicht auch als zu offensichtlich empfindest) oder war ich so tief in den Stoff abgetaucht, dass ich unbewusst eine Allegorie als ganz unmetaphorische Beschreibung vergeudete (und dadurch zu offensichtlich machte)?
Was die beschnittene Vielschichtigkeit des Originals angeht, so sehe ich den Text schlicht als eine von vielen möglichen Adaptionen. Seine Genese lag ja in der Bühnenproduktion eines Freundes -- in diesem Tempest ging es vor allem um Machtstrukturen und deren Inversion; auch dass Prospero am Ende zugunsten Calibans abdankt, stammt nicht von mir, sondern von Jonas Hock. Mir waren vor allem die Motive von Vergebung und Selbstaufgabe wichtig: der eigenen Eitelkeit zu entsagen und ein Opfer zu bringen. Und genau so bleibt auch bei jeder Adaption etwas auf der Strecke. Will sagen: Shakespeares Können liegt, wie Du ja richtig schreibst, darin, dass sein Werk diese Vielzahl an Lesarten hergibt. Mit jeder, die man sich herauspickt, um sie zu betonen, verliert man dafür ein paar andere.
Zur Theaterlogik: Diese "Grandezza" auf Prosa zu übertragen, war tatsächlich sehr schwierig: aus Bösen werden Gute, aus Feinden Verbündete, aus Fremden Verliebte, und das alles in atemberaubendem Tempo. Ein guter Schauspieler muss in der Lage sein, diese Wandlungen glaubhaft zu präsentieren. Ich stellte fest, dass man als Autor vor demselben Problem steht – denn auf einmal muss man dem Leser erklären (oder bewusst darauf verzichten), was er als Zuschauer einfach sieht.
Und auch mein zweites großes Problem hast Du zielsicher erkannt: die suspension of disbelief. Ich gestehe, ich bin immer noch unsicher, weshalb mir diese Übung dieses Mal so schwer fiel. Teils wohl, weil ich keine zu weite ("es gibt nun mal Geister, Zauberkräfte usw.") aber auch keine zu enge ("alles ist Ariel") Erklärung für die Existenz von Magie wollte. Auch Shakespeare fuhr mehrgleisig, zog einerseits Prosperos Bücher und andererseits Ariel (und zu Teilen Sycorax) als Quell oder Agenten des Überweltlichen heran, dazu diverse Naturgeister. Dies alles passte noch halbwegs ins Weltbild des frühen 17. Jahrhunderts, aber nicht mehr in unser heutiges. Ich wollte keine fiktionale Welt beschreiben, in der solche Dinge zum geheimen "Alltag" gehören (wie es meistens in der urban fantasy der Fall ist). Aber ich wollte auch keine singuläre Ursache, die im Konflikt zum ganzen Rest der Welt steht. So entstand die Welt unter dem Winde aus dem singulären Aufeinandertreffen von Technik, Esoterik und Wahn, um wenigstens auf dieser Ebene den größtmöglichen Deutungsspielraum zu bewahren.
Zu den Nachträgen:
1) Danke für die fundierte Verteidigung meiner vielleicht etwas rehäugigen liberal fantasy, die mir aus tagespolitischen Gründen sehr wichtig war.
2) Ross Perrault ist ein klangvoller Name und ein Wortspiel zweifelhafter Güte, nicht mehr. Tatsächlich verdrängte ich die Existenz von Ross Perot während des ganzen Schreibprozesses derart erfolgreich, dass ich mich weigerte, von dem gefundenen Namen noch einmal abzurücken, als sein real-weltliches Beinahe-Homophon mir wieder bewusst gemacht wurde.
3) Keines von beidem, sondern schlicht die naive Sehnsucht nach Verbildlichung des Schauplatzes, mit der viele Textschaffende gerade in der Fantasy zu kämpfen haben ... zumal die Verlockung, eng mit dem mir freundschaftlich verbundenen Künstler zusammenzuarbeiten, zu groß war (glaub mir: die Liste von mit lieblosen Verlagskarten gestraften Kollegen ist lang). Wobei sich die satirische Dimension der Zusammenarbeit nicht leugnen lässt: Einer der ersten Hinweise, den ich Thilo Corzilius gab, war, dass Maßstäbe und Entfernungen bei dieser Karte keine Rolle spielen ...
Ich hoffe, damit Licht auf einige dunkle Seiten meines Unvermögens geworfen zu haben und danke noch einmal für den erfreulichen Austausch!
Trackbacks
Trackback specific URI for this entry
No Trackbacks