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Monday, November 25. 2013
Was Filesharing mit Hausbesetzungen zu tun hat
"Wir dürfen uns nicht länger dafür schämen, dass wir etwas runterladen. Wir dürfen uns nicht länger als Diebe und Betrüger beschimpfen lassen. ... Scheiß auf das Gesetz, scheiß auf die Bonzen der Industrie. Sie können uns nicht alle wegsperren ... Es wird Zeit, dass wir uns nicht länger verstecken und ihnen direkt ins Gesicht spucken."
— Cory Doctorow, Pirate Cinema
Es hat schon eine gewisse Ironie, dass ich diese Zeilen gegen Bezahlung für einen großen Verlag übersetze, der darauf hofft, sie möglichst vielen jungen Lesern zu verkaufen. Ich versuche vom Schreiben und Übersetzen zu leben, weil es das ist, was ich am besten kann (oder das, worin ich am wenigsten schlecht bin), und ich arbeite für eine Vielzahl von Verlagen. Manche dieser Verlage mahnen Leser anscheinend ab, wenn sie ihre Texte im Internet tauschen. Andere tun das anscheinend nicht. Neulich hat es wieder einen Freund von mir erwischt. Nicht von einem Verlag, und nicht wegen Büchern, sondern wegen Filmen, so wie bei Cory Doctorow. Es gibt eine ganze Schattenwirtschaft von Anwaltskanzleien, die den ganzen Tag nichts anderes tut, als "Rechnungen" über 1000 Euro an wildfremde Menschen zu verschicken. Und es gibt eine weitere Fraktion von Kanzleien, die Rechnungen über etwa 300 Euro dafür ausstellt, dass sie die Abgemahnten vor den anderen Kanzleien beschützt. Mir als "Kunstschaffendem" (ein selten dämliches Wort) bringt das alles überhaupt nichts. Von daher könnt ihr euch denken, wo ich in dieser Frage stehe.
Auf der anderen Seite neigt Cory Doctorow zur Polemik. Muss er vielleicht auch, denn er will junge Leser erreichen und wachrütteln, und seine Bissigkeit und sein Witz sind es wohl auch, die ihn als Blogger und Aktivist so bekannt gemacht haben. Leider sind seine Texte im englischen Original extrem schlecht lektoriert und voller innerer Widersprüche. Als Übersetzer versuche ich dennoch, das Beste aus ihnen herauszukitzeln (man sieht: der Mehrwert!). Und da macht es auch mal Spaß, Sätze wie den obigen aufs virtuelle Papier zu rotzen.
Besonders von einem politischen Standpunkt halte ich Doctorow für einen der wichtigsten Jugendbuchautoren der Gegenwart. "Little Brother" gehört meines Erachtens auf jeden Lehrplan. Siehe dazu auch diesen Eintrag vom März über den Krieg um die Information. Meine Übersetzung der Fortsetzung, Homeland, ist seit September im Handel erhältlich. Einen Stapel Belexemplare habe ich auf dem BuCon unters Volk gebracht – gratis, ganz im Sinne des Autors (und sogar des Verlags – Belegexemplare dürfen nicht verkauft werden).
Das Buch, das ich aktuell übersetze, ist "Pirate Cinema". Darin geht es, der Name sagt es schon, vor allem um Kino, Kunst und Piraterie. Mir gefiel das Buch aber vor allem deshalb so gut, weil Doctorow es zum ersten Mal schafft, seine politische Agenda auch auf die "wirkliche" Welt zu übertragen. Die Helden aus "Pirate Cinema" sind Hausbesetzer in London. Sie ernähren sich von abgelaufenen Lebensmitteln aus dem Müll und zapfen sich illegal ihren Strom ab. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Ganz einfach: Wenn genug von allem da ist, wieso gehört dann zehn Prozent der Leute alles und den anderen neunzig nichts? Wenn Häuser leerstehen und Menschen kein Dach überm Kopf haben, wieso lässt man sie nicht einfach einziehen? Wenn es so viel zu essen gibt, dass man die Hälfte davon wegwirft, wozu sollen wir dann arbeiten, um uns Essen im teuren Supermarkt zu kaufen?
Es ist eine herzerfrischend altmodische linke Logik, die aus "Pirate Cinema" spricht. Und in weiten Teilen hat sie ihre Berechtigung bis heute, vielleicht mehr denn je. Die Antwort auf alle Fragen lautet nämlich: Weil das System so nicht funktioniert. Wenn Menschen sich einfach nehmen, was sie brauchen, statt es sich kaufen, brechen der Kapitalismus und die auf ihm begründete Gesellschaft zusammen. Gleichzeitig ist Doctorow Realist: Sobald man den Hausbesetzern ein vernünftiges, bezahlbares Angebot macht, ihren Strom legal zu erstehen, gehen sie darauf ein, um eine Sorge weniger zu haben.
Ich weiß, wie schwer es ist, sich dem System zu entziehen. Ich versuche es auch ehrlich gesagt nur noch im Kleinen -- etwa in meiner Weigerung, einen "vernünftigen" Job zu ergreifen, oder meinem Vegetarismus. In weiten Teil bin ich aber ein ziemlicher Spießbürger geworden. In den Neunzigern habe ich die Welt aus "Pirate Cinema" noch hautnah kennengelernt: Immerhin eine Woche lang habe ich damals in einem besetzen Haus in London gelebt. Eigentlich ging es damals um den Protest gegen die Zwangsevakuierung und den Abriss ganzer Straßenzüge zugunsten eines neuen Autobahnzubringers, den kein Mensch brauchte, zumindest nicht die Anwohner. Hier kann man Hintergründe dazu nachlesen, und hier gibt es einen wunderbaren Film dazu.
Hinweis: Natürlich hat die GEMA ein Problem damit, dass ihr den Film auf Youtube seht. Weil, Musik und so. Zum Beispiel The Clash. Das ist jetzt kein Witz. Also benutzt eins der einschlägigen Plugins, Tor oder eine VPN-Verbindung. Cory hätte es so gewollt.
Im Endeffekt wurde es eine der größten Besetzungen Englands, und meines Wissens auch die teuerste Räumung. Kein Wunder: Claremont Road und die angrenzenden Straßen waren ein Jahr lang ein einziges Happening, ein kleines Haight-Ashbury. Die ehemaligen Bewohner kamen vorbei und brachten uns zum Dank für unser Engagement für ihre alten Häuser selbstgebackenen Kuchen. Den Rest der Zeit ernährten wir uns vor allem von Weißbrot und Bohnen. Keine Ahnung mehr, woher das Zeug stammte. Mit der Legalität nahmen wir es damals jedenfalls nicht so genau, auch für die U-Bahn zahlten wir im Gegensatz zu Cory Doctorows Helden eher selten. Dabei waren wir größtenteils Wohlstandstouristen. Wir litten keine Not, und zum Klauen war ich auch immer zu feige. Dennoch werde ich das bunte Treiben, die bemalten Häuser, die Skulpturen auf der Straße und die schrägen Gestalten in unserem Haus nie vergessen. Leid tat es mir nur um das Klavier, mit dem wir den Hintereingang verbarrikadierten. Es hätte aber ohnehin nur noch wenige Wochen zu leben gehabt. Der Sound, mit dem es die Treppe runterfiel, war jedenfalls nicht schlecht.
Vielleicht ist "Pirate Cinema" das am konsequenteste und am besten durchdachte von Cory Doctorows Büchern. Es geht darin nicht nur um Internetkultur, sondern ein ganzes Gesellschaftsmodell. Es ist radikal, und pädagogisch manchmal sicher nicht nur "wertvoll" (die Helden kiffen wie die Weltmeister und lassen keine Erfahrung aus), aber es bricht viele komplexe Probleme auf eine einfache und meines Erachtens auch weitgehend richtige Formel runter: Wenn es von irgendetwas mehr als genug gibt, dann ist es nicht einzusehen, dass mittellose Menschen nicht daran teilhaben dürfen, bloß damit eine Oberschicht sich in selbstherrlicher Manier daran bereichern kann. Das gilt für Wohnungen, Essen ... und vielleicht auch für Kulturgüter.
Wovon Konformisten über 30 wie ich dann aber leben sollen? Wer entscheidet, was noch "genug" und was schon "zu viel" ist? Keine Ahnung. Aber das war immer schon Knackpunkt und Charme linker Philosophie.
Meistens wissen es die Leute, die davon betroffen sind.
Friede den Hütten, Krieg den Palästen.
Vielleicht ist "Pirate Cinema" das am konsequenteste und am besten durchdachte von Cory Doctorows Büchern. Es geht darin nicht nur um Internetkultur, sondern ein ganzes Gesellschaftsmodell. Es ist radikal, und pädagogisch manchmal sicher nicht nur "wertvoll" (die Helden kiffen wie die Weltmeister und lassen keine Erfahrung aus), aber es bricht viele komplexe Probleme auf eine einfache und meines Erachtens auch weitgehend richtige Formel runter: Wenn es von irgendetwas mehr als genug gibt, dann ist es nicht einzusehen, dass mittellose Menschen nicht daran teilhaben dürfen, bloß damit eine Oberschicht sich in selbstherrlicher Manier daran bereichern kann. Das gilt für Wohnungen, Essen ... und vielleicht auch für Kulturgüter.
Wovon Konformisten über 30 wie ich dann aber leben sollen? Wer entscheidet, was noch "genug" und was schon "zu viel" ist? Keine Ahnung. Aber das war immer schon Knackpunkt und Charme linker Philosophie.
Meistens wissen es die Leute, die davon betroffen sind.
Friede den Hütten, Krieg den Palästen.
Wednesday, March 27. 2013
Der Krieg um die Information

Er erzählt uns von der hässlichen Seite unserer Welt, die wir gern übersehen: Wie unsere eigenen Regierungen uns belügen, ausspionieren und unsere Bürgerrechte mit Füßen treten — einfach nur, weil sie es können. Gerade vor wenigen Tagen ging ein Fall durch die sozialen Netzwerke, in dem ein Opfer sexueller Drohungen sich Hilfe von der Polizei versprach und stattdessen einen Alptraum durchlebte. Corys Charakteren passiert so was ständig. Sie werden von der Staatsgewalt mit Kampfstoffen attackiert, ohne Anklage festgehalten, gedemütigt, gefoltert. Natürlich wissen wir, dass solche Dinge passieren. Wir glauben nur nicht, dass sie wirklich relevant für unser Leben sind.
Letzte Woche besuchte ich dann einen Vortrag der ehemaligen MI5-Agentin Annie Machon. Gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährtin David Shayler wurde sie zur Whistleblowerin, als sie die Machenschaften des Geheimdienstes nicht länger ertrug. Sie wurde Zeugin genau desselben selbstherrlichen Machtmissbrauchs, wie Cory Doctorow ihn in "Homeland" beschreibt.

Nach ihrem Ausscheiden aus dem Geheimdienst begann ein jahrelanges Katz- und Mausspiel. Annie und David flohen durch Europa, tauchten ab, wurden verhaftet, versuchten verzweifelt, ihre Geschichte zu erzählen. Ihr Buch, dessen Erscheinen von staatlicher Seite eine Menge Steine in den Weg gelegt wurden, wird heute zu irren Preisen secondhand gehalten. Eine gescannte Version davon gibt es auf scribd.com.
Es macht aber einen sehr großen Unterschied, eine solche Geschichte zu lesen, oder sie von jemand erzählt zu bekommen. Annie hat ihre Geschichte immer wieder erzählt — tatsächlich ist es das, was sie heute wohl beruflich tut — und man kann sich Videos ihrer Vorträge auf ihrer Homepage ansehen. (Inhaltlich ähneln sie sich, ich empfehle den in Kopenhagen, weil der am lebendigsten gefilmt ist.)
So etwas zu hören, bringt einen dazu, wieder an Bradley Manning zu denken, der seit nunmehr tausend Tagen festgehalten wird. Lange Zeit verbrachte er isoliert, nackt, ohne Kissen und Bettzeug in seiner Zelle. Ihm droht eine lebenslange Haft, theoretisch die Todesstrafe. Eine der Anklagen lautet "aiding the enemy" — was er wirklich tat, war, der Öffentlichkeit die Gräueltaten der US-Armee zu zeigen. Die Öffentlichkeit ist also der Feind? (Siehe auch: Wikipedia, Amnesty International.)
Es bringt einen dazu, an Julian Assange zu denken, der nach wie vor versucht, einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, und den man effektiv zum Schreckgespenst stempelte, um den Diskurs zu ändern. Statt über die Dokumente zu berichten, die WikiLeaks der Welt zur Verfügung stellte, treten die Medien nur noch seine Persönlichkeit breit. "Always attack the man, not the ball", wie Annie so schön sagte. (Siehe auch: Diesen Eintrag von Ende 2010, mit Links zu einschlägigen Seiten.)
Wieso Regierungen so etwas tun? Abermals, weil sie es können. Und weil die Behörden und Machtstrukturen, von denen solche Gewalt ausgeht, ihre Gewalt ausüben, egal, wen wir alle vier Jahre wählen gehen. Das gilt insbesondere in Demokratien wie den USA und England, wo man nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat. Annie hält unsere Verfassung für solider, aber auch bei uns kennt man solche Fälle (Ich erinnere nur an Murat Kurnaz).
Die einzigen, von denen man vielleicht Hilfe erwarten könnte, wären die Gerichte. Aber auch die Gewaltenteilung versagt zunehmend in dem "Krieg", von dem Annie spricht: dem dreifachen, scheinheiligen "Krieg" gegen Drogen, gegen Terrorismus und gegen Urheberrechtsverletzungen, der potentiell alles sanktioniert, und der in Wahrheit ein Krieg gegen die Bürgerrechte ist.
Annie erinnert an ACTA, als das Europäische Parlament über ein auf Druck der Urheberrechtsindustrie zustande gekommenes Gesetz abstimmen sollte, das es in weiten Teilen zuvor nicht einmal lesen durfte.
Und ich muss an Aaron Swartz denken, dessen Nachwort zu "Homeland" ich morgen noch übersetzen werde. Aaron "stahl" wissenschaftliche Artikel von JSTOR (und tat damit im Wesentlichen, was ich mir während des Schreibens meiner Dissertation selbst mehrfach gewünscht hätte). Dafür drohten ihm bis zu 35 Jahre Gefängnis und 1 Million Dollar Strafe. Er erhängte sich am selben Tag, als Heyne mir das Manuskript schickte und ich seinen Namen zum ersten Mal las — ein makabrer Zufall.
Wir befinden uns in einem Krieg um die Information. Nicht in der guten alten Cyberpunk-Manier — es geht nicht darum, irgendwo einzubrechen und irgendwelche supergeheimen Daten zu stehlen. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Die Informationen sind in vielen Fällen längst öffentlich (Facebook, so Annie, wäre zu ihrer Zeit der feuchte Traum eines jeden ihrer Kollegen gewesen). Der Krieg wird um ihre Kontrolle und Rezeption geführt. Was nimmt man zur Kenntnis? Was glaubt man, was nicht?
Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Privatsphäre und unsere Kommunikation schützen können. Wie wir einen Staat, dem wir nicht automatisch vertrauen können, dass er das Richtige tut, aus unserem Leben auch ausschließen können, wenn wir das wünschen. Und wie wir einen Staat, wenn er Verbrechen begeht, zur Rechenschaft ziehen können. Plattformen wie WikiLeaks oder The Pirate Bay sind unverzichtbar für eine mündige und freie Informationsgesellschaft, die sich ihre Diskurse nicht von staatlicher Stelle oder staatlich beeinflussten Medienkonzernen diktieren lassen will. Mussolini definierte die effektive Verschmelzung von Staatsgewalt und dem, was man heute wohl als Konzerne bezeichnen würde, noch als Faschismus. Heute nennen wir es den freien Markt.
Ich weiß nicht, ob und wie wir jemals etwas wirklich ändern wollen — ob der Weg über demokratische Wahlen, unabhängige Gerichte, den Druck der Straße oder eine Kombination all dieser Dinge führt. Ansätze wie die von den Piraten ins Gespräch gebrachte Liquid Democracy könnten helfen und verdienen es, diskutiert zu werden. An erster Stelle aber stehen die informationelle Selbstbestimmung auf der einen und der freie Zugang zu staatlichen Informationen auf der anderen Seite. Beides dürfen wir uns als Bürger nicht nehmen lassen. Von einem "gläsernen Bürger" profitieren nur die Überwachungsorgane. Von einem gläsernen Staat profitieren wir alle. Quis custodiet ipsos custodes?
Es bringt einen dazu, an Julian Assange zu denken, der nach wie vor versucht, einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, und den man effektiv zum Schreckgespenst stempelte, um den Diskurs zu ändern. Statt über die Dokumente zu berichten, die WikiLeaks der Welt zur Verfügung stellte, treten die Medien nur noch seine Persönlichkeit breit. "Always attack the man, not the ball", wie Annie so schön sagte. (Siehe auch: Diesen Eintrag von Ende 2010, mit Links zu einschlägigen Seiten.)
Wieso Regierungen so etwas tun? Abermals, weil sie es können. Und weil die Behörden und Machtstrukturen, von denen solche Gewalt ausgeht, ihre Gewalt ausüben, egal, wen wir alle vier Jahre wählen gehen. Das gilt insbesondere in Demokratien wie den USA und England, wo man nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat. Annie hält unsere Verfassung für solider, aber auch bei uns kennt man solche Fälle (Ich erinnere nur an Murat Kurnaz).
Die einzigen, von denen man vielleicht Hilfe erwarten könnte, wären die Gerichte. Aber auch die Gewaltenteilung versagt zunehmend in dem "Krieg", von dem Annie spricht: dem dreifachen, scheinheiligen "Krieg" gegen Drogen, gegen Terrorismus und gegen Urheberrechtsverletzungen, der potentiell alles sanktioniert, und der in Wahrheit ein Krieg gegen die Bürgerrechte ist.
Annie erinnert an ACTA, als das Europäische Parlament über ein auf Druck der Urheberrechtsindustrie zustande gekommenes Gesetz abstimmen sollte, das es in weiten Teilen zuvor nicht einmal lesen durfte.
Und ich muss an Aaron Swartz denken, dessen Nachwort zu "Homeland" ich morgen noch übersetzen werde. Aaron "stahl" wissenschaftliche Artikel von JSTOR (und tat damit im Wesentlichen, was ich mir während des Schreibens meiner Dissertation selbst mehrfach gewünscht hätte). Dafür drohten ihm bis zu 35 Jahre Gefängnis und 1 Million Dollar Strafe. Er erhängte sich am selben Tag, als Heyne mir das Manuskript schickte und ich seinen Namen zum ersten Mal las — ein makabrer Zufall.
Wir befinden uns in einem Krieg um die Information. Nicht in der guten alten Cyberpunk-Manier — es geht nicht darum, irgendwo einzubrechen und irgendwelche supergeheimen Daten zu stehlen. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Die Informationen sind in vielen Fällen längst öffentlich (Facebook, so Annie, wäre zu ihrer Zeit der feuchte Traum eines jeden ihrer Kollegen gewesen). Der Krieg wird um ihre Kontrolle und Rezeption geführt. Was nimmt man zur Kenntnis? Was glaubt man, was nicht?
Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Privatsphäre und unsere Kommunikation schützen können. Wie wir einen Staat, dem wir nicht automatisch vertrauen können, dass er das Richtige tut, aus unserem Leben auch ausschließen können, wenn wir das wünschen. Und wie wir einen Staat, wenn er Verbrechen begeht, zur Rechenschaft ziehen können. Plattformen wie WikiLeaks oder The Pirate Bay sind unverzichtbar für eine mündige und freie Informationsgesellschaft, die sich ihre Diskurse nicht von staatlicher Stelle oder staatlich beeinflussten Medienkonzernen diktieren lassen will. Mussolini definierte die effektive Verschmelzung von Staatsgewalt und dem, was man heute wohl als Konzerne bezeichnen würde, noch als Faschismus. Heute nennen wir es den freien Markt.
Ich weiß nicht, ob und wie wir jemals etwas wirklich ändern wollen — ob der Weg über demokratische Wahlen, unabhängige Gerichte, den Druck der Straße oder eine Kombination all dieser Dinge führt. Ansätze wie die von den Piraten ins Gespräch gebrachte Liquid Democracy könnten helfen und verdienen es, diskutiert zu werden. An erster Stelle aber stehen die informationelle Selbstbestimmung auf der einen und der freie Zugang zu staatlichen Informationen auf der anderen Seite. Beides dürfen wir uns als Bürger nicht nehmen lassen. Von einem "gläsernen Bürger" profitieren nur die Überwachungsorgane. Von einem gläsernen Staat profitieren wir alle. Quis custodiet ipsos custodes?
It wasn't just the planetary devastation and global warming, it wasn't just the
foreign dictators we'd propped up or the private prison industry we supported at home. It
was all of it. It was the fact that there was all this terrible stuff and no one seemed to be able
to do anything about it. Not our political leaders. Not our police. Not our army. Not our
businesses. In fact, a lot of the time, it seemed like politicians, police, soldiers, and
businesses were the ones doing the stuff we wanted to put a stop to, and they said things
like, "We don't like it either, but it has to be done, right?" (Cory Doctorow, Homeland)
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